Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [44]

Die Gleichsetzung von Malerei und Krieg besitzt eine lange Tradition. Zum Teil erklärt sie sich aus den unaufhörlichen Auseinandersetzungen der Malerschulen, auf die Chirico mit einiger Gewissheit anspielt. Auch die Ästhetik des Krieges, wie sie die Futuristen pflegten, fügt dem Bild eine Farbe hinzu. Doch de Chirico verachtet die Futuristen zu sehr, als dass er sich auf dieses Niveau begäbe. Die Kanonen der Modernen sind gegen die Malerei gerichtet und es sind Scheinkanonen – so wird man die Bemerkung wohl lesen müssen. Die große Zäsur zwischen Moderne und Vormoderne, in jeder Künstlergeneration seit 1910 neu justiert, Kennzeichen jener von Kondylis ›massendemokratisch‹ genannten Postmoderne – diese Zäsur, die in den Werken der klassischen Moderne nicht existiert, aber in den Schriften Nietzsches einen verführerischen Rückhalt findet, ist das Ärgernis de Chiricos: nicht, weil er als Naiver in die Vormoderne zurückstrebt, sondern weil die durch die moderne Malerei aufgemachte Differenz seiner festen Überzeugung nach in die Kunst fällt, ihre lange windungsreiche Tradition und dauerhafte Präsenz, und deshalb durch die Tabula rasa-Politik der von ihm bekämpften Schulen in ihrer realen Substanz verdunkelt oder sogar unsichtbar gemacht wird. Diesen unausgetragenen Konflikt zweier Weisen der Zeitgenossenschaft nimmt de Chirico in sein eigenes Werk hinein, wenn er den realen de Chirico gegen den pittore metafisico stellt, der den Startschuss der neuen Malerei geben durfte, nur um auf der Stelle jeden Bewegungsspielraum einzubüßen. Weit entfernt davon, die unermesslichen Räume einer Kunst, wie die Menschheit sie niemals noch sah, in diesem vor ihm ausgebreiteten Tableau, Zukunft genannt, zu erblicken und sich zügig ihrer Erschließung zu widmen, sieht er in ihr wenig mehr als Monotonie und Iteration, die Dominanz weniger Griffe, dazu bestimmt, die Botschaft der Modernität an den Betrachter zu übermitteln und sie so zu verpacken, als finde eine rasende Entwicklung statt, während es sich doch um die immer gleiche Hinrichtung handelt.