Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [57]

Dieser Begriff der Figur bedarf einer kleinen Erläuterung, da er zu denen gehört, die durch inflationären Gebrauch und eine gewisse modische Attraktivität viel von ihrer Prägnanz verloren haben. In der Kunsttheorie fällt er in das Begriffsfeld von Darstellung in der Bedeutung von Repräsentation. Was immer sich darstellt, zeigt sich in einer Form, die Wiedererkennbarkeit gestattet: diese intuitiv erkennbare, wiedererkennbare Form ist die Figur. Innerhalb einer Kunstform der Präsentation, in der dem Neuen gegenüber dem erkennbar Dargestellten ein Vorrang eingeräumt wird, wird die Wiedererkennbarkeit zum Problem, jedenfalls solange die Vorbilder dessen, was da erkannt werden soll, außerhalb der Kunstwerke, auf der Straße oder in den bebilderten Atlanten der Informationsgesellschaft gesucht werden. Das allerdings ist mit Figur nicht gemeint. Die Bedeutung, mit der sie sich verbindet, die in ihr gebunden ist, kommt aus der Kunst selbst. Sie bindet das Gestaltete zurück in die Kontinuität des Gestaltens, ohne die Kunst nichts weiter bedeutet als etwas Beliebiges, auf dem das Etikett Kunst prangt, weil jemand ein Interesse daran hat, es dort aufzukleben. Die Figur ist das iterative Element im Prozess der Selbstkontinuation der Kunst. Demgegenüber sind die Wege der Iteration einschließlich der demonstrativen Verweigerung prima vista gleichgültig. Die Ausprägung der Figur, ihre kontinuierliche Inanspruchnahme und regenerierende ›reformatio‹ – Wiederherstellung und Neuformulierung – entspricht annähernd oder zur Gänze dem Mersmannschen Schamanentum, das zwischen Kultur und Kunst einen deutlichen Trennungsstrich anbringt. Aus einer Kultur in Trümmern zieht die Kunst den bestmöglichen Gewinn, insofern sie sich rückwärts und vorwärts zu erfinden gezwungen sieht. Inmitten der ›verfassten‹ Welt der Kultur, inmitten ihrer Fluktuationen lässt sie »die höllische Komposition der Gleichheit aller im Tode« erahnen, aber gedämpft.