Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [9]

In die Kunst findet man anders hinein als in die Wissenschaft. Man wählt sich nicht eine Aufgabe, man überantwortet sich der Kunst. Wer Ende der zwanziger Jahre des verfluchten Jahrhunderts in bestimmten Regionen das Licht der Welt erblickt, hat, statistisch gesehen, eher Aussichten, als Kind vergast, verbrannt, von Trümmern erschlagen, außer Landes gejagt oder erschossen zu werden, als die, Künstler zu werden. Denen, die überlebten und Spuren dessen in sich vorfinden, was frühere Jahrzehnte ehrfürchtig oder spöttisch Berufung genannt hatten, bleibt keine Wahl; sie tragen das Überleben in ihre Berufung hinein. Ausdrucks- und Überlebenswillen sind darin eins. Die Idee, sich auszudrücken, weicht dem Ausdruck der Zeit, der vorbeiziehenden stärker als der erlebten, die stumm bleibt, jedenfalls vorerst. Das Werden selbst ist hier das Problem. An die Stelle lebensgeschichtlicher Erstreckung tritt das abrupte Ergreifen einer Geste, einer Möglichkeit, einer Gelegenheit, eines Fortkommens. Gerade darin liegt der besondere Klang, der dem Wort Chance eignet – ›nicht dumm‹ ist, wer sie ergreift, wer nicht lange fragt, wer nicht zuviel fragt, und dumm gelaufen ist es für den, der im entscheidenden Moment nicht bereit steht, zu tun, was getan werden muss. In einer aus Desorientierung und Mangel komponierten Zeit erhalten solche im Grunde sehr allgemeinen Dispositionen ein Übergewicht, das alles andere – oder doch sehr vieles andere – erdrückt. Die Schere aus guten äußeren und guten inneren Gründen, aus schlechten äußeren und schlechten inneren Bedingungen zerschneidet den Einzelnen in zwei Hälften, die hinfort nebeneinander existieren, verbunden durch ein Arsenal von Reflexen, die zwischen Innen und Außen hin und her wandern und die lädierte Person Härte gegen sich selbst lehren, eine weithin nur aus Einbildung bestehende Härte, die sich bereitwillig vom ›plötzlich‹ im Raum stehenden Existenzialismus das Vokabular besorgt.