Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [15]

Ein ästhetisches Programm besitzt nicht die Dichte und Stringenz eines Forschungsprojektes. Künstler übertreiben zwangsläufig in die eine wie in die andere Richtung: absolute Fügung und absolute Kontingenz liegen in ihrer Rede dicht beieinander. Das künstlerische Programm ergibt sich, es stellt sich ein, es sammelt sich, es diversifiziert die Kunst. Die starre Reprise bezeugt die Stärke der Notwendigkeit, es ›richtig‹ zu machen, und die Entlastung, auf der richtigen Seite zu stehen, etwas durchzusetzen, das sich, nüchtern betrachtet, bereits durchgesetzt hat oder auf dem besten Wege dahin ist. Ebensosehr bezeugt sie eine organisatorische Enge, die der Not geschuldet sein kann wie dem Monopol. Damit sie in der Kunst Platz greift, ist etwas weiteres nötig: der Schock, das Gezeichnetsein, die verminderte Verfügung über das, was man als Freiheit des Geistes bezeichnet. Der abrupt in Freiheit gesetzte Geist, unmittelbar konfrontiert mit der Einsicht, dass über ihn bereits verfügt ist, dass die plötzliche Freiheit der Lebenswahl und ein gehärtetes Know-how in der Realität zusammenfallen, ist kein besonders geignetes Gefäß für die Kunst. Dafür stehen seine Chancen gut, am einmal Ergriffenen lebenslang festzuhalten, koste es, was es wolle, koste es die anderen, was es sie wolle, koste es ihn am Ende auch Kopf und Kragen. Die Prägung auf bizarre und kleinfüßige Programme, ein auffälliges, von manchen als Zeichen einer sich selbst treu bleibenden Moderne gedeutetes Merkmal der fünfziger Jahre, hat mit den avantgardistischen Beutezügen des ersten Jahrhundertdrittels wenig gemein. Richtiger wäre es, in ihr die gegenläufige Tendenz festzuhalten: die hektische Suche nach dem eigenen Claim inmitten des abgesteckten Tableaus der Nachkriegskunst, das hastige Markieren der Stelle, an der man sich niederzulassen und zu graben gedenkt, um alles daraus zu gewinnen, wozu das beschädigte Leben drängt: Glück, Anerkennung, Wohlstand, ein Häuschen im Bergischen oder das Atelier in New York. Mersmann schreibt: »Man bettet sich unter Federn, kehrt in den Leib zurück, erfolglos. Der Sog des Schmerzes lässt die überheblich angeschwollene Phantasie mit einem Fußtritt ihr Fortkommen im Leibe suchen.«