Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [29]

Auf Mersmanns Bildern findet man hier und da runde, schwebende, fruchtartige Gebilde. Man muss sie entdecken, denn sie drängen sich dem Blick nicht auf. Es sind Abkömmlinge einer anderen Dimension, einer anderen Zeitlichkeit, einer anderen ›Zivilisation‹. In den Anmerkungen zum Zirkus-Bild nennt der Künstler sie »Speisephantome«, »Mondstoff«, »Fruchtgebilde aus Eiern, Mehl und Mondlicht«, »herabgesunkene Fruchtwolken«: Phantasmen des Überflusses, Lockspeisen eines verflossenen Jenseits, wohl zu unterscheiden von den Hirngespinsten jener, die hungern und dürsten nach –... vielleicht nach Gerechtigkeit, sicher nach einer anderen Welt. Aus dem Hungern und Dürsten entsteht eine Welt im Aufbruch, eine Welt aus einzulösenden Ansprüchen, eine Welt im Futur. Man erkennt den Unterschied, vergleicht man den Tisch des Lukullus (1960) mit dem Marco Polo-Bild von 1983. Im Lucullus hat das Motiv seine feste Zitatform noch nicht gefunden. Es fehlt das Weiche, Unbestimmte, ›Lockende‹ späterer Ausführungen. Aber in den kugel- und eiförmigen Gebilden ist es zweifellos da. Sucht man im Marco Polo nach etwas, das dem entsprechen könnte, so fällt der Blick früher oder später auf den geflügelten Fisch, den Champion beider Elemente, der bereitsteht, den fernsüchtigen Patrizier in die Weite zu entführen. Die Speisephantome sind Erscheinungen, an denen das Bedürfnis sich stillt. Auch sie kommen aus der Ferne, aber sie stärken die Gegenwart, statt sie zu entleeren. Anders der geflügelte Fisch, den es aus dem vertrauten Element ins unvertraute drängt – in diesem Drang ist alles auf Schwächung, auf Entkräftung, auf Delegitimierung der unmittelbaren Gegenwart angelegt. Der bevorstehende Aufbruch hat die Kraftlinien verändert und hinausgebogen in das Jenseits dessen, was man nicht ohne Ironie das Bestehende nennt.