Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [34]

»Wer um die Mittagszeit die Piazza di Spagna in Rom überquert, hat Gelegenheit, einen eigentümlich aussehenden älteren Herrn auf sich zukommen zu sehen. Auf einem massigen, übermittelgroßen Körper in etwas salopper, aber sehr wohlgewählter Kleidung sitzt ein totenbleiches, ein wenig gedunsenes Cäsarengesicht mit mächtig ausladender Nase und tiefen Ringen unter den Augen; das glatte, schlohweiße Haar hängt ihm mit einer Strähne in die Stirn, der Blick ist hochmütig in die Ferne gerichtet, als sähe er durch alles und jedermann hindurch. Das ist Giorgio de Chirico, Italiens berühmtester lebender Maler.« So beginnt, gerade fünf Jahre nach dem Ende der staatlichen Kunstlenkung, am 13. April 1950 eine Reportage in der ZEIT, einem der aufstrebenden Blätter des bundesdeutschen Betriebs. Der Zurichtung folgt die Hinrichtung auf dem Fuße: Der damals zweiundsechzigjährige Künstler male »fast nur noch Porträts, Selbstporträts und Stilleben« und führe im übrigen »von seinem Atelier an der Piazza di Spagna aus einen wütenden Kampf gegen jedermann, der sich erkühnt, den ›metaphysischen‹ de Chirico für einen großen Künstler zu halten«: eine klassische Falschmeldung – de Chirico bestand zeit seines Lebens darauf, weiterhin unter anderen auch ›metaphysische‹ Bilder zu malen –, der die übliche Vernichtung auf dem Fuße folgt. »So kämpft er gegen seinen eigenen Schatten, gege den Rivalen, der niemand anderer ist als er selbst.« Selbstverständlich können die Mittel dieses Kampfes nur bizarr sein: »›Ich besiege sie durch Arbeit‹, sagt er selbst, und so sitzt er Tag für Tag acht bis zehn Stunden an der Staffelei und malt... gegenwärtig hat er nicht weniger als 37 Gemälde gleichzeitig in der Arbeit.«