Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [39]

Diesem de Chirico ist Mersmann begegnet und er trägt der Konstellation insofern Rechnung, als er im Apostaten den Fürsten der Finsternis erkennt und sich beeilt, ihm seine Dienste anzubieten:

»Das ist seine tragische Größe, dem Pinsel und der Farbe ein letztes furchtbares Recht einzuräumen. Seine altertümliche Bosheit. Wenn die Mächte der allwissenden Arroganz, immer noch fußend auf dem naiven Idiotismus eines Friseurs wie Muratti, gestürzt sein werden, oder falls man die Dämonisierung des menschlichen Lebens nicht mehr der Kunst allein überlässt, sondern einer grauen Jacke, deren Knöpfe uns mit jedem Pulsschlag irgend einem Sicherheitsdienst anschließen, werden wir die Saturnalien dieses Spätwerks immer noch ehren. Denn entweder wird man wieder malen und die göttliche Marmelade Chiricos als Verzweiflungsausbruch vor der Barbarei des magischen Fetischismus betrachten, oder man wird an den jetzt noch nicht errechenbaren Orten, wo die Abhörsysteme versagen, hinter vorgehaltener Hand die letzten Zeichen der Bildung unter Künstlern mit den Worten ›Giorgio de Chirico!‹ bezeugen.«

Die Gefolgschaft bedient sich, wie nicht anders möglich, der Parodie, in diesem Fall bis in den Gestus der Sprache hinein. Sie zitiert die Sprache der nachidealistischen Prophezeiung und rührt dabei an alte Geschichten. Wer zu hören bereit ist, der hört aus der ›Bosheit‹ de Chiricos diejenige Heines heraus, die Nietzsches Entzücken bildet, weil sie an den Schlaf der Welt rührt. Sie kann es nur deshalb, weil sie selbst einer alten Kultur entstammt. Und er hört Heine selbst, der den Mächten der Heiligen Allianz, die in Napoleon die Revolution besiegt zu haben glauben, den Spiegel einer Zukunft vorhält, die in Mersmanns skeptischer Prophezeiung bereits wieder vergangen ist, jedenfalls dann, wenn es mit rechten, das heißt unrechten Dingen zugeht. Dem Fluch über die unheilige Allianz der reaktionären Mächte antwortet anderthalb Jahrhunderte später der Spott über die ›allwissende Arroganz‹ derer, die glauben, die Zukunft in ihrer Gewalt zu haben, und darin vielleicht sogar Recht besitzen, aber in ihrem Rechthaben die Gegengewalt der Kunst heraufbeschwören. Aus solchen Ressourcen lebt die Blaue Stunde der Saturnischen Bibliothek, wenn das ein Leben genannt werden kann, wie das späte Werk Chiricos:

»... das saturnische Wesen dieser machtvollen Malerei lebt aus dem Glanz übertrieben aufeinander geschichteter Lacke und trüber Medien. Hier herrscht der Glanz, aber nicht das Licht.«